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Thema der Woche | 13. Februar 2014

Im "Fettauge des Gesetzes"

Der Marburger Karzer – Foto: Coordes

Die Bierwette endete im Karzer: Im Nachthemd waren zwei Studenten im Schein einer Kerze durch die engen Gassen Marburgs spaziert. Doch sie wurden erwischt. Daraufhin gab es einen Tag Karzerhaft für den Delinquenten, der zumindest noch eine Jacke über sein weißes Nachtgewand gezogen hatte, zwei Tage für den anderen. Doch ernsthafte Reue scheint die Studiosi nicht gepackt zu haben. Als sie am 25. Oktober 1904 in dem 16 Quadratmeter großen Kerker der Universität einsaßen, malten sie ein anschauliches Bild ihrer "Tat", darüber das Urbild des Philisters, der angesichts des groben Unfugs der jungen Leute selbstgerecht grinst.

Die Geschichte des Marburger Universitätsgefängnisses und seiner zeitweiligen Bewohner erzählt das "Marburger Karzer-Buch" von Hans Günther Bickert und Norbert Nail, das im Jonas-Verlag erschienen ist. Für Besucher ist das ungewöhnliche Verließ indes nur äußerst selten geöffnet. Dabei hat der Raum im Südflügel der Alten Universität Seltenheitswert: In ganz Hessen gibt es keinen weiteren Uni-Karzer, der bis heute erhalten ist. Und er ist besonders anschaulich: Das Relikt aus fernen Studententagen ist mit Inschriften und Zeichnungen seiner Insassen geradezu übersät. Sofern die Delinquenten keine Obszönitäten an die Wand kritzelten, war ihnen das erlaubt.

Spätestens seit Anfang des 17. Jahrhunderts gab es einen Karzer in der Philipps-Universität. Insgesamt sind sogar fünf Arrestlokale belegt, die Namen wie "Bellevue", "Sanssouci" und "Avecsouci" trugen. Der bis heute erhalten gebliebene Karzer der Alten Universität wurde erst 1879 eröffnet. Etwa 230 Studenten saßen hier bis 1931 ein. Und im Gegensatz zu den Vorgängerbauten hatten die Studenten hier wohl ein leidlich angenehmes Leben. Einer schreibt von einem "kleinen, niedlichen Gemach, weitab und doch verbunden mit der Welt". Ein anderer notiert: "Hier ist's halt fein." Manche Insassen scheinen auch fast stolz auf die Strafe zu sein: "Es gehörte dazu, einmal über die Stränge zu schlagen und im Karzer zu sitzen", erklärt Nail.

Allerdings ging es auch nur um Disziplinarstrafen, die mit maximal zwei Wochen Haft geahndet wurden. Hauptgründe waren grober Unfug, Beleidigungen, Schlägereien, Ruhestörungen, übermäßige Trunkenheit und Duelle. Wer den Schutzmann als "Polypen" beschimpfte, musste einen Tag einsitzen. Doch an den Wänden des Karzers lebt die Dauerfehde mit den Gendarmen bis heute fort. Da wird der dicke Ortspolizist als "Fettauge des Gesetzes" gezeichnet. Und frei nach Schillers Wilhelm Tell heißt es: "Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es den Polypen nicht gefällt."

Karzerwärter Priebe hat darüber wohl großzügig hinweg gesehen. Gleich mehrere Dankessprüche haben Studenten dem Pedell gewidmet. Aber auch nach der offiziellen Karzerordnung gehörte eine halbe Flasche Wein oder eine Flasche Bier pro Tag zur Grundnahrung. Ab dem dritten Tag durften die "Häftlinge" durch die Stadt spazieren. In besonderen Fällen konnten sie sogar an wichtigen Vorlesungen teilnehmen. Und wenn es an alkoholischem Nachschub mangelte, wurde schon einmal ein Korb am Fenster des Karzers hinaufgezogen, erzählt Nail.

Auch ein eigenwilliger Streik lebt auf den alten Mauern fort: Medizinalrat Prof. Külz hatte seine Hörer derart drangsaliert, dass mehr als die Hälfte der in Marburg eingeschriebenen Hochschüler demonstrativ vor den Fenstern des Hörsaal bummelte – statt seiner Vorlesung beizuwohnen. Daraufhin schaltete sich sogar das Berliner Ministerium in den Fall ein.

Die Karzerhaft gab es in Marburg länger als anderswo. Während sie an den meisten Universitäten Anfang des 20. Jahrhunderts abgeschafft wurde, schickten die Marburger Rektoren noch bis 1931 Studenten in die Zelle. Wahrscheinlich – so vermutet Nail –, um die gefährlichen Säbelzweikämpfe einzudämmen, bei denen die Studierenden häufig mit Bewährungsstrafen und Bußgeldern davonkamen.

Gesa Coordes

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