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Thema der Woche | 11. Dezember 2014

Hoch hinaus

Seilbahn-Studie: In 10 Minuten auf die Lahnberge – Foto: Ingenieurbüro Schweiger, www.seilbahnprofi.de

40 bis 50 Millionen Euro würde der Bau einer Seilbahnverbindung zu den Lahnbergen nach Einschätzung von Diplom-Ingenieur Arno Schweiger kosten. Das sagte der Seilbahn-Experte bei einer Infoveranstaltung zur verkehrlichen Anbindung der Lahnberge an die Innenstadt.

Konkret ging es im Hörsaal des Uniklinikums um die Frage, ob eine Seilbahn in das Verkehrskonzept Konzept einbezogen werden könnte. Bürgermeister Franz Kahle unterstrich bei der Infoveranstaltung vor rund 250 Gästen, dass eine Entscheidung für oder gegen die Seilbahn noch keinesfalls getroffen sei. Vielmehr handele es sich nur um eine erste Studie, die zur Diskussion gestellt werden soll. Bevor in einer möglichen Bürgerbefragung und in der Politik abgestimmt werde, gelte es sehr sorgfältig das Für und Wider abzuwägen.

Bezüglich der Kosten sei zu bedenken, dass eine Förderung durch Bund und Land möglich sei, so Kahle. Berücksichtigen müsse man auch, dass im Busverkehr durch den Einsatz einer Seilbahn erhebliche Einsparungen generiert werden könnten.

Experte Schweiger, der mit seinem Ingenieurbüro bereits an einigen Seil­bahn­projekten beteiligt war, erinnerte an die Prognosen zur Gesamt­entwicklung des Verkehrs aus der Studie "Klimafreundliche Mobilität, Projekt Lahnberge". Danach müssen im Jahr 2020 täglich 2.500 Uni-Mitarbeiter und 8.000 Studierende sowie 4.500 Klinikmitarbeiter und 1.200 Besucher täglich die Lahnberge erreichen. Das bedeute 46.600 Wege insgesamt. Von diesem Wert ausgehend, soll nach Schweigers Einschätzung die Förderkapazität einer Seilbahn zwischen 2.000 und 2.500 Personen pro Stunde und Richtung betragen.

Weitere Anforderungen seien geräumige Kabinen für bis zu 35 Fahrgäste, in denen auch Rollstühle, Fahrräder und Kinderwagen passen und möglichst geringe Wartezeiten. Diese könnten bei einem "Stetigförderer" – das hieße die für Marburg sinnvollen etwa 30 Kabinen fahren jeweils sofort auf der anderen Seite zurück – zwischen 30 Sekunden bis zu einer Minute betragen.

Durch den elektrischen Antrieb verursache eine Seilbahn keinen Lärm und keine Schadstoffe, sagte Seilbahn-Experte Schweiger. Sie könne auch mit Solarstrom betrieben werden. Zuletzt sei eine Seilbahn eine Attraktion und somit touristisch durchaus attraktiv, führte er an.

Mit einer Verbindung zu den Lahnbergen, so Schweiger, könne durch die Seilbahn die Infrastrukturlücke geschlossen werden, wofür sie sich besonders eigne, weil sie Flüsse, Schienen und Gebäude überwinden könne.

Fragen und Kritik des Publikums beschäftigten sich mit der Frage, dass die Seilbahn über Gebäude führe. Laut Schweiger müsste eine Mehrseil-Umlaufbahn nicht direkt über Häuser führen, einige Vorgärten am Blitzweg würden überführt. Die Kabinen würden etwa 20 Meter über Firsthöhe fahren.

Einblicke der Fahrgäste auf Balkone und Dächer könnten mit verschiedenen technischen Möglichkeiten verhindert werden, sagte der Seilbahnfachmann. Dazu dienen etwa der Einbau von "Smart Glas", das elektrisch auf bestimmten Streckenabschnitten milchig undurchlässig gemacht werde, auf dem restlichem Weg die Sicht wieder freigebe.

Von den untersuchten Varianten für die Trassenführung sei aufgrund unterschiedlicher Hemmnisse eine übrig geblieben, berichtete Schweiger.

Bürgermeister Kahle hob hervor, dass Vorschläge für andere Lösungen im Rahmen der weiteren Entscheidungsfindung denkbar seien. Die Vorzugsvariante der Studie würde laut Schweiger mit einer Talstation am westlichen Lahnufer im Bereich Savignystraße/Uferstraße beginnen. Es würde eine Zwischenstation neben dem Ludwig-Schüler-Park folgen. Bis dorthin sei eine horizontale Streckenführung sinnvoll. Von der Zwischenstation müsse eine mögliche Verbindung am Seil über den Blitzweg und seine Verlängerung mit insgesamt zwei Masten über eine weitere Zwischenstation bei Spiegelslust bis zur Bergstation führen, die sich bei der Mensa in der Nähe des Klinikums befinden solle, um Krankenhaus wie Universität schneller zu erreichen. Der Abstand zur Wohnbebauung liege bei 20 Metern.

Für die Talstrecke würde eine Fläche von 20 mal 30 Metern gebraucht. Für das Gebäude der Talstation würde eine Höhe von mindestens zehn Metern benötigt, um die Stadtautobahn mit der Seilbahn und mit Stützpfeilern im Abstand von 30 bis 40 Metern überqueren zu können. Die Fahrzeit, so Schweiger, dauere rund zehn Minuten. Zum Vergleich brauche der Stadtbus auf der kürzesten Linie 16 Minuten, mit dem Auto sei man zwölf, mit dem Fahrrad 25 und zu Fuß gar 45 Minuten unterwegs.

"Die Lahnberge würden ein ganzes Stück näher an die Innenstadt heran­rücken", ist Seilbahn-Befürworter Bürgermeister Kahle überzeugt: "In 15 Minuten könnten Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, ambulante Patienten, Studierende und Lehrende von den Lahnbergen aus den Marburger Marktplatz erreichen."

pe/kro

Thema der Woche | 11. Dezember 2014

Schliemanns Erbe statt Müllbeutel

Antikensammlung bildet einen Brückenkopf von der Universität in die Stadt Gießen

Eigentlich suchte Matthias Recke in den Katakomben des Oberhessischen Museums nur nach einem Müllbeutel: "Den brauchten wir für den Inter­nationalen Museumstag", erzählt der Kustos der Antikensammlung der Gießener Justus-Liebig-Universität. Einen Müllsack fand er nicht, doch im letzten Magazinraum standen einige Pappkartons mit der Aufschrift "A?". Einen öffnete der neugierige Kustos. Darin steckten zwei antike Gefäße, die mit kleinen, viereckigen Klebeetiketten gekennzeichnet waren. Die verrieten dem Fachmann: Sie mussten zu den legendären Troja-Funden gehören, die der weltberühmte Altertumsforscher Heinrich Schliemann vor knapp 150 Jahren nach Deutschland mitgebracht hatte. In den folgenden Tagen entdeckte Recke insgesamt 55 Vasen, Trinkbecher, Gefäße, Messer, Terrakotten und 4000 Jahre altes, verbranntes Getreide.

Sie stammten aus einer Schenkung Kaiser Wilhelms II, der 1902 einige Antikensammlungen des Reichs mit Funden aus Schliemanns Grabungen beglückte. In Gießen waren bis zu Reckes Entdeckung allerdings nur fünf Vasen aus Schliemanns Erbe in der Sammlung. Dass die Schenkung einst mindestens zehnmal so umfangreich gewesen war, wussten die Wissenschaftler nicht. Bei der Bombardierung Gießens während des Zweiten Weltkrieges war nämlich nicht nur fast die gesamte Abgusssammlung, sondern auch die schriftliche Dokumentation zerstört worden.

Allerdings waren die antiken Gefäße aus den Katakomben zum Teil zerbrochen und in einem "jämmerlichen Zustand", so Recke. Durch Patenschaften sammelten die Archäologen so viele Spenden, dass die Vasen aus Troja seit vergangenem Herbst wieder im Museum zu sehen sind. Für Homerleser besonders interessant: Zwei schlanke Kelche mit ohrenförmigen Henkeln, auf die Schliemann besonders stolz war, weil solche Kelche einst in Homers Schriften erwähnt wurden.

Dass die Troja-Funde in Gießen landeten, liegt natürlich auch daran, dass die Antikensammlung der Justus-Liebig-Universität zu den ältesten ihrer Art in Europa zählt. Hier wurde bereits 1809 der erste deutsche Lehrstuhl für Archäologie eingerichtet. Die Wurzeln der Sammlung gehen aber noch weiter zurück. So stammt die wertvolle Münzsammlung zum Teil noch aus dem 18. Jahrhundert.

Bis 1944 war das Foyer des Uni-Hauptgebäudes mit den Licht durchfluteten Fenstersälen für die Gipsabgüsse antiker Skulpturen reserviert. Einen Bruch erlebte sie durch den Zweiten Weltkrieg, in dem Teile der Sammlung ausgelagert wurden, vieles aber auch verbrannte. Erst ab Ende 60er Jahre wurden die auf Dachböden und in Kellern geretteten Stücke mühsam wieder zusammengetragen. 1985 hatten die Archäologen das große Glück, gemeinsam mit der prähistorischen Sammlung des Oberhessischen Museums in das Wallenfels'sche Haus am Gießener Kirchenplatz ziehen zu können, wo sie Gastrecht genießen. Seitdem gilt die Antikensammlung gemeinsam mit dem Botanischen Garten als "Brückenkopf der Universität in die städtische Öffentlichkeit".

Seit 2009 gibt es mit Matthias Recke auch einen Kustos. Der promovierte Archäologe hatte sich bis dahin nur nebenher um die Sammlung kümmern können. Der Bestand lädt zu einer Reise rund um das Mittelmeer der Antike ein: Gefäße und Figuren aus dem alten Ägypten, Funde aus dem Zypern der Bronze- und Eisenzeit, Parfümflakons, Vasen und Statuetten aus dem alten Griechenland und recht eigentümliche Weihgeschenke, die aus dem Heiligtum eines Heil­gottes in Veji unweit von Rom stammen: Köpfe, Torsen und Ohren aus Ton, aber auch Füße, Gedärme und eine Gebärmutter, die eher wie eine Wärmflasche aussieht. Zur Sammlung gehört auch ein kostbarer korinthischer Becher mit außerordentlich feiner, sorgfältiger Bemalung, der einem unbekannten Vasenmaler zugeschrieben wird, den die internationale Fachwelt heute als "Gießen-Maler" bezeichnet.

Ausgestellt wird immer nur ein Bruchteil der fast 10000 Objekte umfassenden Kollektion. Alle sechs Monate präsentieren die Archäologen eine neue Ausstellung.

Tausende von Besuchern kommen jedes Jahr: Schulklassen, Tagungsgäste, Rotarier, Landfrauen und andere interessierte Bürger bevölkern die Abteilung. Recke und Klöckner lassen sich immer wieder etwas Neues einfallen, um die Sammlung ins rechte Licht zu rücken. "Das ist nicht nur ein Besitz, den es zu bewahren gilt, sondern etwas Lebendiges", erklärt Klöckner. So gibt es Aktionen zu Museumstagen, Lesungen, Projekttage für Lateinschüler, eine Kinderrallye sowie Verkostungen mediterraner Weine und Speisen. Bei Museumstagen präsentieren sich die Studierenden in antiken Gewändern und inszenieren "Gladiatorenkämpfe" auf den Stufen des Museums.

Eigentlicher Zweck der Sammlung ist indes die Ausbildung der Studierenden. "Mit den Objekten zu arbeiten, ist wesentlich eingängiger, als aus Büchern und in Hörsälen zu lernen", weiß Professorin Klöckner. Es gibt jedes Semester Lehrveranstaltungen zu den Objekten. Und manchmal finden die Studierenden auch etwas Neues heraus: So untersuchte die Studentin Jaqueline Kunz das Innenleben eines 2800 Jahre alten Granatapfels aus Ton, der über und über mit geometrischen Mustern verziert ist. Das Besondere: Wenn man ihn vorsichtig bewegt, hört man rasselnde Geräusche, weshalb die Grabbeigabe als Kinderrassel galt. Vollständig erhalten ist so ein Granatapfel extrem selten – neben dem Gießener Exemplar gibt es weltweit nur drei weitere Beispiele. Mit Röntgenbildern, Computertomographien und einer Endoskopie fand Kunz heraus, dass der erstaunlich schwere Granatapfel nicht nur hohl ist, sondern auch mehr als 20 Flusskiesel enthält.

Info
Die Antikensammlung ist von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 16 Uhr (Eintritt frei) geöffnet. Bis zum 18. Januar zeigt sie eine Ausstellung über römische Porträts und ihre Wiederverwendung in Antike und Barock.
Kontakt: Tel. 0641-9928051 (9928053), antikensammlung[at]archaeologie.uni-giessen.de, www.antikensammlung-giessen.de

Gesa Coordes

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