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Thema der Woche | 10. Oktober 2013

Das Gedächtnis der Kunst

Bildarchiv Foto Marburg hat zwei Millionen Negative – Foto: Coordes

Die einzigartige Schatzkammer des Archivs versteckt sich im Keller. In unauffälligen, grauen Pappkartons lagern auf Glasplatten gebannte Negative, Nitrofilme und empfindliche Coloraufnahmen von Kirchen, Schlössern, Skulpturen, Gemälden und Stadtansichten. Am 19. Oktober feiert das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte, das Bildarchiv Foto Marburg, an der Philipps-Universität sein 100-jähriges Jubiläum. Mit rund zwei Millionen Negativen handelt es sich um das größte Fotoarchiv zur europäischen Kunst in der Welt – das Bildgedächtnis Europas.

Längst zerstörte Bilder und Bauten werden hier wieder lebendig: Die Dresdner Frauenkirche wurde nach Fotografien aus Marburg rekonstruiert. 2005 wurde das letzte Foto des Malers Paul Cézanne im Archiv entdeckt. Die Kasseler Orangerie und das Berliner Schloss vor ihrer Zerstörung sind dokumentiert. Die alten Innenstädte von Warschau, Breslau und Kassel werden im Archiv lebendig.

"Unsere Fotografien haben auch noch in 50 Jahren einen Wert", sagt Christian Stein, einer der drei Fotografen der Uni-Einrichtung. Seit 2005 brechen die Experten wieder regelmäßig zu Fotokampagnen in Europa auf. Mitunter fotografieren sie dabei auf den Spuren des Kunsthistorikers Richard Hamann, der das Archiv 1913 gründete. Hamann war in Ägypten, noch bevor die Nofretete gefunden wurde. Er fotografierte die Sphinx, als sie noch bis zum Hals im Sand steckte. Als Meilenstein gilt seine Dokumentation von französischen Kathedralen.

Weil im Laufe der Jahre viele Bauten verändert, restauriert oder abgerissen wurden, ist das flandrische Belgien nun noch einmal fotografiert worden. "Ohne die alten Fotos zu kennen, haben wir uns fast immer an die gleichen Stellen gestellt und die gleichen Brennweiten verwendet", sagt Stein.

Fotogenehmigungen zu bekommen, ist oft schwierig. Das Bildarchiv Foto Marburg stellt den Schlösser- und Kirchenverwaltungen die Fotos zwar kostenlos zur Verfügung, doch viele Institutionen wollen die Vermarktung der Bilder ganz in ihrer Hand behalten. Deswegen nutzten die Marburger Fachleute die Gelegenheit, die barocken Privatpaläste Venedigs zu dokumentieren, als der Zugang durch eine Marburger Doktorandin eröffnet wurde. Bei kleineren Kampagnen wurden die romanischen Kirchen in Waldeck, das Kloster Haina, Fachwerk in Limburg, das Schloss Bad Arolsen, die mittelalterlichen Altäre Hessens und der Stuttgarter Hauptbahnhof vor dem umstrittenen Abriss dokumentiert.

Federführend betreut das Bildarchiv Foto Marburg das von der Europäischen Union finanzierte Jugendstilprojekt "Partage Plus", für das Jugendstilbauten sowie Tausende von Museumsobjekten wie Vasen, Möbel und Skulpturen dokumentiert werden. Auch dazu gehören einzigartige Aufnahmen. Mit einemModellhubschrauber, dessen Kamera per Fernsteuerung ausgelöst wird, wurde der Hochzeitsturm der Darmstädter Mathildenhöhe festgehalten. "Die Turmuhr des Hochzeitsturms hat so noch keiner gesehen", sagt Archivdirektor Christian Bracht über die "Fotodrohnen".

Sechs Meter lange Haushaltsleitern haben die Fotografen ohnehin immer im Auto. Ein freier Mitarbeiter besitzt sogar eine Hubsteigererlaubnis, um auch in 30 Meter Höhe noch fotografieren zu können. In die digitale Fotografie stieg das Archiv allerdings erst 2008 ein, als die Kameras den hohen Qualitätsansprüchen genügten. Die erste große digitale Fotokampagne führte ins Wien der Habsburger, das nun mit mehr als 2000 Aufnahmen in dem Archiv zu finden ist.

Die Fotos sind inzwischen fast alle online zugänglich: Unter www.bildindex.de können Laien und Fachleute kostenlos nach Stichworten wie Schachspieler, Künstlerateliers, Baumwurzeln, Schwäne oder dem Lachen in der Kunst suchen. Es gibt einen digitalen Portraitindex für die historische Personenforschung. Die riesige Datenbank wird jedes Jahr von einer Million Menschen besucht, die Zahl der Zugriffe liegt bei 150 Millionen pro Jahr.

100 Jahre Bildarchiv Foto Marburg
Das Jubiläum wird am 19. Oktober mit einer Tagung, der Verleihung des Richard Hamann-Preises an Prof. Wolfgang Kemp und einer Ausstellung gefeiert. Die von Studierenden zusammen gestellte Schau zeigt und kommentiert die 100 besten Fotos des Bildarchivs. Zugleich wird das 100-jährige Bestehen des Kunstgeschichtlichen Uni-Instituts begangen.

Gesa Coordes

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