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Thema der Woche | 11. Juli 2013

Lehrer für den blinden Alltag

Die ungewöhnlichen Fachkräfte aus Marburg sind begehrt – Foto: Coordes

Marburg. Der blinde Schüler von Bernd Wilhelm kann neuerdings allein zum Marburger Bahnhof gehen. Sein ebenfalls sehbehinderter, 17jähriger Mitschüler hat mit Wilhelms Hilfe gelernt, Ofenkartoffeln mit Quark und überbackenen Schafskäse zuzubereiten. "Das ist auch für mich als Lehrer ein tolles Gefühl", sagt der 53-Jährige. Der ausgebildete Sozialpädagoge absolviert zur Zeit eine Ausbildung als Fachkraft der Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation an der Fachschule der Deutschen Blindenstudienanstalt (Blista). Es handelt sich um die einzige Fachschule dieser Art in Deutschland. Neuerdings hat sie die unbefristete staatliche Anerkennung.

Die Reha-Lehrer aus Marburg sind begehrt. Selbst große Sehbehinderten-Einrichtungen suchen händeringend nach den Fachkräften. Und auch freiberuflich haben sie glänzende Berufsaussichten. Schließlich haben die Absolventen eine wichtige Aufgabe: Sie unterrichten Blinde und Sehbehinderte – von Vorschülern bis zu Senioren – ganz praktisch darin, sich nach einer massiven Sehverschlechterung oder Erblindung im Alltag selbstständig zurechtzufinden. Das fängt beim Zähneputzen an, erklärt der Leiter der Fachschule, Jürgen Nagel: "Wie kriege ich die richtige Menge Zahnpasta auf die Zahnbürste?" Sehbehinderte müssen dafür eigene Techniken erlernen. Wie mache ich mein Frühstück? Die Reha-Lehrer aus Marburg können es ihnen zeigen. Dabei haben sie den Vorteil, dass sie nur jeweils einen Schüler unterrichten.

Ihre eineinhalbjährige Weiterbildung ist ungewöhnlich: In den ersten Monaten verbringen sie neben der theoretischen Ausbildung einen großen Teil ihrer Schulzeit mit Selbsterfahrung. Unter einer Augenbinde erleben sie, wie es sich anfühlt, wenn man ohne Augenlicht isst oder sich im Straßenverkehr zurechtfinden muss. "Wenn wir gefrühstückt haben, sah es anfangs wild aus", erzählt die angehende Reha-Lehrerin Ute Arnold: "Die Brötchen haben wir noch nicht einmal gefunden." Und als sie Monate später mit Langstock und Augenbinde mit dem Zug nach Frankfurt fuhr, fand sie ihre Mitmenschen eher zu hilfsbereit.

Bernd Wilhelm beim Weg durch Marburg – Foto: Coordes

Ute Arnold bringt als ausgebildete Ergotherapeutin sehr gute Voraussetzungen für den Beruf mit: "Ich finde es faszinierend zu erleben, wie unsere Schüler ihren Alltag bewältigen", sagt die 45-Jährige. Zur Zeit zeigt sie einer 15-Jährigen, wie sie den Weg durch die Fußgängerzone zur Eisdiele finden und mit einer Rolltreppe klarkommen kann.

Alle Fachschüler müssen bereits eine Ausbildung etwa als Erzieher, Lehrer, Sozialpädagogen, Augenoptiker, Krankenschwestern, Ergo- oder Physiotherapeuten hinter sich haben. Eine Chance haben damit sowohl Ältere wie Bernd Wilhelm als auch junge Leute wie die 23-jährige Kinderpflegerin Marta Lendzion. Während ihres freiwilligen sozialen Jahres hatte sie einen blinden Jungen in der ersten Klasse der Regelschule unterstützt. "Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass mein Berufswunsch feststand", erzählt die Münchnerin. Zur Zeit übt sie mit einem 18-Jährigen, Schnitzel und Frikadellen zu braten. Die Frikadellen sind selbstverständlich selbst gemacht, die Schnitzel selbst gewürzt und paniert. "Besonders anspruchsvoll ist das Zwiebelschneiden", sagt Lendzion. Dafür zu sorgen, dass sie nicht von den Fingern rutschen und zugleich gleichmäßig geschnitten werden, sei eine Herausforderung.

Pro Kurs studieren maximal zehn Menschen aus ganz Deutschland an der Fachschule der Blindenstudienanstalt, die bereits in den 70er Jahren mit der Ausbildung begann. Heute lernen sie neben den verschiedenen Langstocktechniken auch die Punktschrift so gut, dass sie die tastbare Blindenschrift später selbst lehren können. In der theoretischen Ausbildung werden sie in Augenheilkunde, Sozialpsychologie, Gesprächsführung, Motorik und Sonderpädagogik unterrichtet.

Die Ausbildung kostet insgesamt rund 21.000 Euro. Viele Fachschüler – wie etwa die 23-jährige Marta Lendzion – studieren deshalb mit Hilfe von Meister-BaFöG.

Info
Der nächste Ausbildungskurs beginnt im April 2014. Nähere Informationen gibt es unter http://www.blista.de/fachschule_reha

Gesa Coordes

Thema der Woche | 11. Juli 2013

Rückrat für den Campus

Markantes Ensemble: Das geplante 40 Millionen Euro teure Labor- und Technologiezentrum der THM – Grafik: Arbeitsgemeinschaft der Hascher Jehle Planungsgesellschaft und des Landschaftsarchitekturbüros Hutterreimann

Offen, übersichtlich und einladend: So soll das neue Labor- und Technologiezentrum (LTZ) der Technischen Hochschule Mittelhessen gestaltet werden. Rund 1500 Wissenschaftler und Studenten sollen in dem 40 Millionen Euro teuren LTZ voraussichtlich ab 2017 studieren und forschen.

Ein Zentrum, auf das die THM händeringend wartet: Angesichts der seit Jahren steigenden Studierendenzahlen platze die THM "aus allen Nähten", sagte THM-Präsident Günther Grabatin bei der Vorstellung des Siegerentwurfs des Architektenwettbewerbs.

Gewonnen hat die Arbeitsgemeinschaft der Hascher Jehle Planungsgesellschaft und des Landschaftsarchitekturbüros hutterreimann (beide Berlin). Die Wettbewerbssieger sehen ein einheitliches Gestaltungskonzept für den gesamten Campus vor. Die geplanten drei- und viergeschossigen, mit großen Glasflächen gestalteten Gebäude sollen gleichsam ein markantes Ensemble bilden, das den Campus prägt – und sich harmonisch zu den bestehenden THM-Bauten gesellen. Zum "Rückgrat für den gesamten Campus" soll nach dem Willen der Architekten die Kombination der Gebäude mit den Freiflächen werden. So seien die LTZ-Gebäude "im direkten Zusammenspiel" mit dem Freiraum entwickelt, Außen- und Innenräume gingen fließend ineinander über.

"Die Neubauten für das Labor- und Technologiezentrum an der Gutfleischstraße setzen neue Maßstäbe für eine kompakte, effiziente Architektur, die ganz auf die Bedürfnisse von Forschenden, Lehrenden und Studierenden eingeht. Auch die Außenraumgestaltung des Siegerentwurfs lässt einen lebendigen und lebenswerten Campus erwarten. Für die THM ist dies das erste große Projekt, das im Rahmen des Hochschulbauprogramms Heureka realisiert wird. Das Land investiert dafür rund 40 Millionen Euro", sagte Hessens Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann.

Laut THM-Präsident Grabatin ist der Abschluss des Wettbewerbs ein wichtiger Entwicklungsschritt für die Hochschule. "Der siegreiche Beitrag der Berliner Arbeitsgemeinschaft ist eine erste sehr gelungene Konkretion der Ideen aus dem städtebaulichen Wettbewerb des Jahres 2010. Wir nehmen endgültig Abschied von der Hochhausarchitektur der 1960er Jahre. Der mit dem ersten Preis ausgezeichnete Entwurf ist trotz seines Volumens filigran, freundlich und modern. Er überzeugt durch Leichtigkeit, Offenheit und ein Maximum an Flexibilität und Dynamik. Ich bin sicher, das neue Labor- und Technologiezentrum wird erstklassige Bedingungen für Forschung und Lehre bieten."

Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz sagte: "Von dem Siegerentwurf bin ich sehr beeindruckt. Den Verfassern gelingt es, einen prägenden Minicampus auszuformen, der in besonderer Weise ein Bindeglied im Kontext des gesamten Campus der THM zwischen dessen städtebaulichem Umfeld Wohnbebauung, Gebäuden der Gerichtsbarkeit und dem "Volkspark Wieseckaue" in der Stadt darstellt."

Rund 4200 Quadratmeter Grundfläche sollen die neuen Gebäude für die Fachbereiche Krankenhaus- und Medizintechnik, Umwelt und Biotechnologie, sowie Mathematik, Naturwissenschaften und Informatik haben. Geplant ist, 2015 mit den Bauarbeiten zu beginnen. Fertig soll das Zentrum zwei Jahre später sein.

Info
Alle 26 Entwürfe sind bis 17. Juli in der THM, Ostanlage 39, in Gießen zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag jeweils von 9.00 Uhr bis 19.00 Uhr.

kro/pe

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