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Thema der Woche | 20. Juni 2013

Keine Zuckerbäckermoschee

Mit Offenheit und vielen Gesprächen plant die Islamische Gemeinde Marburgs ihr erstes Kulturzentrum – Foto: Coordes

"Das wird eine deutsche Moschee", sagt Bilal El-Zayat, der Vorsitzende der Islamischen Gemeinde in Marburg. Sie hat kein Minarett, keine Kuppel und keinen Muezzinruf. "Wir haben auf alles verzichtet, was provozieren könnte", sagt der Oberarzt im Uni-Klinikum. Gepredigt wird ohnehin auf deutsch. Am 21. Juni wird der Grundstein für das Islamische Gotteshaus mit seinem großen Kulturzentrum gelegt, das 1,8 Millionen Euro kosten soll. Mit dabei sind alle politischen Parteien und die großen Kirchen der Universitätsstadt.

Dafür hat die Islamische Gemeinde lange Überzeugungsarbeit geleistet: Sie war die erste in Hessen, die ihre christlichen Mitbürger zum Fastenbrechen in ein Ramadanzelt in der Marburger Innenstadt einlud. Sie hat ein hervorragendes Verhältnis zur Jüdischen Gemeinde. Und ihre alte, viel zu klein gewordene Omar-Ibn-Al-Khattab-Moschee ist ein offenes Haus, in dem Besucher willkommen sind.

Die Moscheepläne wurden im Vorfeld intensiv diskutiert. Danach verzichtete die Gemeinde auf ein islamisches Ornament, das an die Kreuzsymbolik erinnert. Auf den Rat des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Amnon Orbach, wird die Moschee einen Keller haben, den sie Orbach-Keller tauften. Zudem beherbergt der zentral gelegene Neubau an der Marburger Stadtautobahn nicht nur die Moschee, deren Treppenhaus ein wenig an ein Minarett erinnert. In dem viergeschossigen Bau finden sich auch ein Feinkostgeschäft, eine Caféteria mit Blick zum Schloss, eine Bibliothek, Räume für Vorträge, Nachhilfe und Frauengruppen sowie elf Appartements, in denen Muslime und Nicht-Muslime wohnen sollen: "Das ist für die gesamte Marburger Bevölkerung gedacht", sagt Bilal El-Zayat, der auch von einer "ökologischen Moschee" spricht. Neben Sonnenenergie nutzt sie Erdwärme. "Die Natur wurde uns von Gott anvertraut", erklärt der Sohn einer Preußin und eines Ägypters das Engagement.

Trotzdem hat die Moschee auch Feinde: In den vergangenen Wochen wurden Hunderte von Flugblättern in Marburg verteilt, in denen mit einer obszönen Zeichnung zur "Öffentlichen Beschneidung" des angeblich kürzlich zum Islam konvertierten Oberbürgermeisters Egon Vaupel eingeladen wurde. "So ein Dreck", ärgert sich der Sozialdemokrat: "Das ist jemand, der Unfrieden in dieser Stadt will." Staatsanwaltschaft und Polizei ermitteln wegen übler Nachrede und Verleumdung, haben bislang aber keinen Verdächtigen.

Ansonsten sind die früheren Kritiker schon lange verstummt. Erste Pläne vor sechs Jahren waren nämlich an einer von der CDU im Marburger Stadtparlament angezettelten Diskussion gescheitert. Die Moslems stünden zum Teil unter dem Verdacht, Islamisten zu sein, hieß es damals. Einziger konkreter Anhaltspunkt war die Nennung des damaligen Betreibervereins Orientbrücke im Verfassungsschutzbericht. Was das bedeutet, ließ sich laut Vaupel nicht klären. "Etwas Handfestes", sei jedoch nicht gefunden worden.

Um die Diskussion zu entschärfen, richtete der Oberbürgermeister einen "Runden Tisch der Integration" ein. Ein "Friedensweg der Religionen" wurde eröffnet. Heute kommt Amnon Orbach als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu den hohen Festen der Moslems. Und El-Zayat ist beim Laubhüttenfest dabei. Der Weg der Integration gilt auch innerhalb der Islamischen Gemeinde, in der Schiiten und Sunniten sowie Moslems aus mehr als 40 Nationen beten, unter ihnen viele Studierende und Mediziner. Vor wenigen Monaten wurde ein Förderverein für die Moschee gegründet, in dem alle Fraktionen der Stadt vertreten sind. Fördervereinsvorsitzender ist der Islamwissenschaftsprofessor Albrecht Fuess. Er sagt: "Wir wollen zeigen, dass die Moschee willkommen ist."

Moscheen
In Deutschland gibt es insgesamt etwa 2600 Moscheen, davon etwa 90 in Hessen. Die meisten finden sich jedoch in Hinterhöfen oder umfunktionierten Gebäuden – so wie die alte Marburger Moschee, die in einem Fachwerkhaus untergebracht war. Nur etwa jede Zehnte hat ein Minarett oder eine Kuppel.
Die Moscheen konzentrieren sich vor allem auf die Ballungsräume wie das Rhein-Main-Gebiet. Sie stehen aber selten an zentralen Orten in den Großstädten, sondern meist in den Vororten – wie etwa rings um Stuttgart. Um den Neubau von Moscheen gibt es sehr oft Konflikte.
gec

Gesa Coordes

Thema der Woche | 20. Juni 2013

Mitreißende Bilder und farbenfrohe Albträume

Internationales Büchner-Festival vom 22.-30. Juni mit Theatergruppen aus Südafrika, Brasilien, Korea, Ukraine, etc. – Foto: Bruna Carvalho

Direkt im Anschluss an die Hessischen Theatertage veranstaltet das Stadttheater ein internationales Büchner-Theaterfestival: "Georg Büchner – nahezu jeder kennt seinen Woyzeck, jeder den Schlachtruf nach Krieg den Palästen; seine Werke sind deutschlandweit auf allen Spielplänen zu Hause. Wie jedoch wird dieser Büchner, den wir so gut zu kennen meinen, in anderen Ländern, anderen Kulturen aufgenommen?", fragt Theaterintendantin Cathérine Miville, künstlerisch verantwortlich für "Büchner international"

Das Festivalkonzept: Vom 22.-30. Juni dreht sich in Gießen alles um die weltweite Büchner-Rezeption. Theatergruppen aus der ganzen Welt sind eingeladen, ihre Versionen einer Auseinandersetzung mit Büchners Werk in dessen Studienstadt zu bringen.

Stadttheater Gießen: Buch.Bühne.Büchner

Als Eigenproduktion zu den Büchner-Jubiläumsjahren 2012/13 präsentiert das Stadttheater Gießen die Uraufführung Buch.Bühne.Büchner – Stationen einer Jagd. Der Kompositionsauftrag für diese Mehrsparten-Theaterproduktion ging an den jungen, südafrikanischen Komponisten Richard van Schoor, der auch die Musikalische Leitung übernimmt. Buch und Konzept stammen von Thomas Goritzki, der schon Dantes Göttliche Komödie in Gießen als spartenübergreifendes Spektakel auf die Bühne brachte.
Sa, 22.6. und So 30.6. jeweils 19.30 Uhr, Stadttheater

Handspring Puppet Company: Woyzeck On The Highveld

Woyzeck als Migrant vor dem Hintergrund der Industrialisierung im Johannesburg der 50er Jahre: In der Konfrontation von (Holz-)Puppenspiel mit animierten Zeichnungen des Videokünstlers William Kentridge (und einer Prise Vaudeville) werden feinfühlig-mitreißende Bilder für Woyzecks Innenwelt wie Leidensweg auf die Bühne gezaubert. Die Produktion der Handspring Puppet Company (GB/Südafrika) ist inzwischen zu einem internationalen Klassiker avanciert.
Mo 24.6. 19.30 Uhr, Stadttheater

NTGent & het KIP: Frans Woyzeck

Hier geht es eher um ein Individuum, denn um einen exemplarischen Fall. Das letzte Stück des Regisseurs Eric de Volder, der kurz nach der belgischen Premiere verstarb, bleibt den Prinzipien des Regisseurs (und denen seines Lehrers Grotowski) treu: Theater sollte vom Schicksal des einfachen Mannes handeln. Frans Woyzeck ist ein farbenfroher Alptraum aus Phosphor und Schwarzlicht, eine freche "Opera buffa", überzeugend direktes Schauspiel und auch Comic
Di 25.6. 19.30 Uhr, Stadttheater

Svoboda Zholdak Theatre: Woyzeck

In der Inszenierung vom Svoboda Zholdak Theatre aus der Ukraine bekommt die Staatsmacht einiges zu tun und zugleich ihr Fett weg. Woyzeck stellt das Menschsein aus wie im cinemaskopischen Glaskasten und nimmt so sein Gefangensein zwischen Frau und Mann, Arm und Reich, Knecht und Herr, Fressen und Moral, Tier und Gott in den Blick seines totalen, traumartigen Theaters: Eine surreale, anarchische und böshumorige Enzyklopädie des Lebens und der Kunst, der sich niemand entziehen kann.
Mi 26.6. 19.30 Uhr, Kongresshalle

Sadari Movement Laboratory: Woyzeck

Wenn man schon wie Woyzeck zwischen allen Stühlen sitzt, kann man die Verhältnisse ja wenigstens versuchen zum Tanzen zu bringen. Astor Piazzolas Musik liefert den dynamischen Takt für Massenchoreografie, Sprachchor und Clowneske. Dazu hat das Sadari Movement Laboratory aus Süd-Korea eine ausgefeilte Lichtinszenierung dazu gepackt – mehr braucht es nicht, um zu überraschen, das Zwerchfell zu reizen, zu bewegen.
Do, 27.6. 19.30 Uhr, Stadttheater

Hungarian Theatre of Cluj: Leonce És Léna

In einer modrigen Fabrikhalle tummelt sich die gelangweilte Oberschicht, ignorant gegenüber dem Zerfall ihrer Umgebung. Dabei sind die vermeintlichen Strippenzieher selbst aufgebauschte Puppen aus Perücken und Pudermasken. Politische Idiotie, aber auch die dienerische Gefallsucht des Theaters selbst werden vom Hungarian Theatre of Cluj aus Rumänien zugleich ausbuchstabiert und hinterfragt.
Fr 28.6. 19.30 Uhr, Stadttheater

Onassis Cultural Centre – Athens: Dantons Tod

Immer wieder die Marseillaise. Immer wieder, mit nicht nachlassender Penetranz. Streckbänke gibt es in Dantons Tod vom griechischen Onassis Cultural Centre – Athens freilich auch. Das harte Holz der Realität. Oder das krumme Holz, aus dem der Mensch geschnitzt ist. Beides gleichsam das Gerüst und die Maschinerie von Reaktion und Revolte. Die Bank, das sind wir.
Sa 29.6. 19.30 Uhr, Stadttheater

Seiryu Theater: Woyzec Version Fukushima

Woyzeck als Angestellter des Atomenergie-Konzerns Tepco im Sicherheitsdress: Das Seiryu Theater aus Japan hat noch im Jahr der Katastrophe den Versuch unternommen, dem Unaussprechlichen eine Sprache zu geben. Wo sie dennoch abbricht, abbrechen muss, übernimmt das Klavier. Oder die Schrift, die den Tepco-Woyzec aber auch zu einem wirklichen Pappkameraden werden lässt – in einem Spiel, dessen Regeln andere bestimmen.
Mo 24.6. und Di 25.6. jeweils 22.00 Uhr, TiL-Studiobühne

[pH2]: estado de teatro: Stereo Franz

Ein Abend unter Freunden, irgendwo zwischen Sprechtheater, Konzert und Kino. Das Stück ist das Zwischenergebnis eines fünf Jahre dauernden Forschungsprozesses zur (Wieder-)Entdeckung des Tragischen, Politischen und Experimentellen im zeitgenössischen Brasilianischen Theater.
Do, 27.6. und fr 28.6. jeweils 22.00 Uhr, TiL-Studiobühne

kro/pe

Tipp des Tages

Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

Foto: Arte
"Werde nicht wie alle, die du nicht sein willst" ist das Lebensmotto des zwölfjährigen Paul Silberstein, der mit seiner wohlständigen Familie im Wien der späten 50er Jahre lebt. Doch Paul will so gar nicht in das steife Bild eines Jungen aus besserem Hause passen.
Fr 5.2. | 20.15 Uhr | TV | Arte
 
Tipp der Woche

Guardians of the Galaxy

Foto: Vox
Peter "Star-Lord" Quill ist ein Weltraumbandit. Er tut sich mit den Kopfgeldjägern Rocket und Groot sowie der rätselhaften Gamora und dem rachgierigen Drax zusammen, um das Universum zu beschützen.
Do 11.2. | 20.15 Uhr | TV | Vox
 
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