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Express Online: Thema der Woche
Express Online: Thema der Woche | 11. Februar 2010

"Gegensteuern, aber den Reiz bewahren"

Wie wird Marburg zur besseren Einkaufsstadt? Ein Interview mit Stadtentwicklungsreferent Wolfgang Liprecht

Express: Mit dem geplanten Unicampus, dem großflächigen Umbau am Bahnhof und im Nordviertel stehen in Marburg in den kommenden Jahren große Veränderungen an. Was ist Ihre Vision für Marburg im Jahr 2020?
Wolfgang Liprecht: Mit Visionen ist das immer so eine Sache. Ihnen haftet eher etwas Realitätsfernes an. Übergeordnetes Ziel Marburger Stadtentwicklung bleibt aber, die Stärken Marburgs in Wirtschaft, Wissenschaft, Handel, Kultur, Wohnen und Umwelt weiter zu entwickeln. Dabei haben die Philipps-Universität, die Pharma-Unternehmen am Standort Behring-Werke und das Universitäts-Klinikum eine zentrale Stellung, um auch im überregionalen Wettbewerb bestehen zu können. Die von der Universitätsstadt Marburg und anderen angestoßenen infrastrukturellen Maßnahmen werden die Stadt in diesen Bereichen stärken.

Express: Was muss in der Stadt bis dahin ausgebaut werden der innerstädtische Wohnraum, die Kultureinrichtungen, die Einkaufsmöglichkeiten?
Wolfgang Liprecht: Wir unterscheiden sogenannte "weiche" und "harte" Standortfaktoren. Die von Ihnen benannten Bereiche sind eher weiche Standortfaktoren, die für die wirtschaftliche Entwicklung einer Stadt und Region zunehmend an Bedeutung gewinnen. Bezahlbarer innerstädtischer Wohnraum und innerstädtische Einzelhandelsangebote sind ebenso wichtig wie kulturelle Angebote in den verschiedenen Kultursegmenten und Maßnahmen zur Erhaltung und Beförderung einer gesunden Umwelt. Deshalb werden Wohnprojekte in der Innenstadt wie bisher, wenn immer möglich, realisiert. Im Gegensatz zu vergleichbaren Städten hat die Einwohnerzahl in der Marburger Kernstadt in den letzten Jahren zugenommen. Die Einzelhandelsstudie Marburg hat gezeigt, dass es richtig war, den Schwerpunkt des Einzelhandels in der Universitätsstraße/Südstadt und der Oberstadt zu konzentrieren, das soll fortgeführt werden. Die Nordstadt erhält mit dem Projekt der DVAG und dem Umbau des Hauptbahnhofes und des Bahnhofvorplatzes sowie dem Chemikum Impulse für neue Entwicklungen.

Express: Die 2009 vorgestellte Einzelhandelsstudie bewertet die Situation in Marburg freundlich. Entgegen dem bundesweiten Trend stellt die Studie sogar eine Umsatzsteigerung um fast 15 % im Einzelhandel fest. Ist Marburg ein Einzelhandelsparadies? Wo gibt es Nachholbedarf?
Wolfgang Liprecht: Prozentuale Veränderungen sollte man nicht überbewerten, denn es kommt immer auf das jeweilige Ausgangsjahr an. Aber es ist richtig, der Marburger Einzelhandel bekommt in der Studie ein recht gutes Zeugnis. Das Ambiente und die Atmosphäre der Marburger Oberstadt erhalten gute Noten, aber es wird auch ein Nachholbedarf bei mittleren und größeren Ladenflächen z.B. im Oberbekleidungsbereich benannt, wodurch wir gegenüber anderen Städten in diesen Angebotssegmenten etwas zurückbleiben.

Express: Wo sehen Sie die Entwicklung im innerstädtischen Einzelhandel? Haben kleine inhabergeführte Fachgeschäfte überhaupt noch eine Chance gegen die Filialisten? Hängt das von der Branche ab?
Wolfgang Liprecht: Inhabergeführte Fachgeschäfte konnten sich bisher gerade in Marburg gut behaupten. Sie machen nicht unwesentlich den Reiz unserer Einkaufsstadt aus. Der Filialisierungsgrad in 1a-Lagen ist mit weniger als einem Drittel deutlich geringer als in anderen Städten, in denen Werte von zwei Drittel und mehr erreicht werden z.B. in unserer Nachbarstadt Gießen. Damit verbunden sind vor allem in der Textilbranche bestimmte Namen, die von Kundinnen und Kunden gesucht werden. Und wenn sie in Marburg nicht vorhanden sind, in Gießen aber ja, fließt Kaufkraft dorthin ab. Deshalb muss hier gegengesteuert werden, ohne den ursprünglichen Reiz der Einkaufsstadt Marburg aufzugeben.

Express: Mit Marburgs großem Kaufhaus ist die Universitätsstraße die Versorgungsader der Stadt. Was sind Ihre Vorstellungen für die Weiterentwicklung? Stichwort Savigny- und Allianz-Haus?
Wolfgang Liprecht: Zunächst hat die Stadt mit dem grundlegenden Umbau der Universitätsstraße ein Zeichen gesetzt. Nach Abschluss der Arbeiten Ende 2010 werden wir eine wirklich attraktive Hauptstraße in der Marburger Innenstadt haben. Das vorhandene große Kaufhaus mit seiner diversifizierten Branchenstruktur wird weiterhin zentrale Bedeutung in der Einkaufsstadt Marburg haben, ebenso wie die Marburger Oberstadt mit Ihrer kleinteiligen Geschäftsstruktur ein einmaliges, vielfach konkurrenzloses Angebot offeriert. Die in der Einzelhandelsstudie identifizierten Angebotslücken können an der Ecke Universitätsstraße/Gutenbergstraße gedeckt werden. Die dortige City-Passage (Allianz-Haus) ist in die Jahre gekommen. Ein kleines, aber attraktives Einkaufscenter mit max. 12.000 qm Verkaufsfläche einschließlich der heute dort schon bestehenden Flächen kann die Lücken schließen. Dabei werden wir darauf achten, dass die gewachsene Einzelhandelsstruktur in Marburg insbesondere die kleinteilige Oberstadtstruktur nicht leiden wird. Dazu gehört u.a. eine Betriebsgrößenuntergrenze im Center ebenso wie eine Beeinflussung der Branchen- und Sortimentsstruktur. Es kann aber nicht sein, dass wir auf diese Weise in jeglichen Wettbewerb eingreifen. Sofern das Savigny-Haus Teil des Projektes wird, wird sich dadurch die Verkaufsfläche nicht vergrößern, sondern weiter ins Erdgeschoss verlagert, während der Bedarf des juristischen Fachbereichs in den Obergeschossen des Gebäudekomplexes gedeckt wird.

Express: Das Erlenring- und das Schlossberg-Center sind nur wenige Gehminuten entfernt. Braucht die Stadt neben Ahrens wirklich neue Einzelhandelsgeschäfte oder ließe sich hier nicht prima zentraler Wohnraum schaffen?
Wolfgang Liprecht: Die Einzelhandelsstudie belegt, wie schon eben ausgeführt, eindeutig einen Nachholbedarf und bestätigt damit unsere eigenen Erfahrungen, denn seit mehreren Jahren gibt es immer wieder Anfragen insbesondere nach mittelgroßen Ladenflächen von z.B. 500–700 qm, denen wir nicht entsprechen können. Die Alternative Wohnraum stellt sich deshalbgerade an dieser Stelle nicht, zumal er an dieser zentralen 1a-Geschäftslage exorbitant teuer werden würde.

Express: Wie ist Marburg im Vergleich zu den Nachbarzentren Gießen und Wetzlar aufgestellt? Als Einkaufsstadt hängt Gießen Marburg deutlich ab. Macht es überhaupt Sinn, auf diesem Gebiet zu konkurrieren?
Wolfgang Liprecht: Man kann nicht den Kaufkraftabfluss von Marburg nach Gießen bejammern, aber dann nichts tun. Es mag ja sein, dass in Gießen auch künftig mehr eingekauft wird als in Marburg. Aber wir können durch die Behebung wichtiger Angebotslücken erreichen, dass wenigstens ein Teil der aus Marburg abfließenden Kaufkraft hierbleibt. Und davon haben dann alle in Marburg was. Denn wir können in Marburg zusätzliche Einzelhandelsflächen bauen, Gießen kann sich aber keine attraktive Oberstadt bauen.

Express: Was wäre die größte Fehlentwicklung in den kommenden Jahren in Marburg, was muss die Stadt mit aller Kraft verhindern?
Wolfgang Liprecht: Wir dürfen ein größeres Einkaufscenter von über 12.000 qm Verkaufsfläche nicht zulassen, um eine gesichtslose, uniforme Innenstadt zu verhindern. Und es muss gewährleistet werden, dass die Projekte der für Marburg wichtigsten Strukturelemente nicht stecken bleiben, sondern mit aller Kraft befördert werden: die Campus-Projekte der Universität im Lahntal und auf den Lahnbergen sowie weitere Investitionsvorhaben am Standort Behringwerke.

Interview: Georg Kronenberg


Express Online: Thema der Woche | 11. Februar 2010

Gärten der Erkenntnis

Grüne Wissenschaft in der Wieseckaue: Gießener Landesgartenschau-Wettbewerb ist entschieden

Gärten der Erkenntnis, geflutete Straßen, eine "lebendige" Brücke als Mittelpunkt eines ansprechenden Naherholungsgebiets, Irrgärten und ein Palmencafé mit Seeterasse: 27 Landschaftsarchitekten aus Deutschland und der Schweiz haben beim Landesgartenschau-Wettbewerb ihren Ideen freien lauf gelassen, wie die die Wieseck- und Lahnaue bis 2014 als moderne Naherholungsgebiete – selbstverständlich ökologisch nachhaltig – umgestaltet und aufgewertet werden können.

Jetzt ist der landschaftsarchitektonische Wettbewerb entschieden. Sieger für den Bereich Wieseckaue sind die Berliner Landschaftsarchitekten Geskes und Hack. Ihr Konzept der Erneuerung des Stadtparks Wieseckaue durch sogenannte "Science-Gärten" zu einem "Wissenschafts-Volkspark" hat das Preisgericht der Universitätsstadt überzeugt. Auch der erste Preis für die Rahmenplanung des Bereichs Lahnaue geht nach Berlin, an das Landschaftsarchitekturbüro "a24 landschaft" für ihren Entwurf zur Stärkung des Natur- und Erholungsraum an der Lahn.

Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich (Grüne) zeigte sich mit den Entscheidungen hochzufrieden. "Die Siegerentwürfe haben die Vorgaben kreativ und mit einem starken Gießen-Bezug umgesetzt. Sie bieten eine gute konzeptionelle Grundlage, um sie bis zur Realisierung 2014 weiterzuentwickeln."

Der Entwurf für die Lahnaue des Landschaftsarchitekturbüros "a24 landschaft" will vor allem die Erlebbarkeit des Flusses und die Begehbarkeit seiner Ufer fördern. Durch partielles Auslichten der Ufervegetation soll die Lahn visuell stärker in den Vordergrund treten, private Ufernutzungen sollen verlagert und die Durchgängigkeit der Lahnufer verbessert werden. Neue Verbindungen zwischen dem Stadtkörper und Lahn sowie darüber hinweg schaffen kurze Wege von der Stadt zum Fluss.

Im Bereich der Sachsenhäuser Brücke soll durch zwei gegenüberliegenden Neubauten an der Rodheimer Straße das neue Entrée zur Innenstadt entstehen. Der Bereich zur Weststadt hin wird dagegen als grünes Entrée interpretiert. Dort soll eine neue Fuß- und Radwegunterquerung den Uferweg vervollständigen. Das Rudersportareal soll neu geordnet und entsprechend seiner Bedeutung für den Wassersport ausgebaut werden.

Das Preisgericht hatte bei dieser Arbeit vor allem die behutsame Entwicklung zu einer durchgängigen Auenlandschaft hervorgehoben.

Der Siegerentwurf der Landschaftsarchitekten Geskes und Hack für die Wieseckaue basiert auf der Idee, die räumlich gute Parkstruktur aus dem Jahr 1965 konzeptionell durch das Thema "Wissenschaftsgärten" weiterzuentwickeln. Wichtig ist ebenfalls die Öffnung der Wieseckaue zur Stadt durch neue großzügige Parkkorridore, die den Stadtpark bis an die Ringallee verlängern. Das Thema der spielerischen, interaktiven Wissensvermittlung in den "Science-Gärten" soll sich wie ein roter Faden durch den erneuerten Park ziehen.

Eine Parkpromenade ("Beltwalk", ein Begriff aus englischen Landschaftsparks) wird die Besucher über einen abwechslungsreich inszenierten Rundweg, mit wechselnden Szenerien durch den Park rund um den Neuen Teich führen. Der Rundweg erschließt zugleich alle Attraktionen wie ein großes Palmencafé mit Seeterrasse am Nordufer, verschiedene Spiellandschaften und einen Irrgarten.

Durch gezielte Besucherführung im Bereich der ökologisch wertvollen Uferbereiche sollen die Schilfzonen geschützt werden. Der vorhandene Baumbestand bleibt fast vollständig erhalten. Blickbeziehungen werden nur durch die partielle Entnahme von Ufergehölzen und behutsames Auslichten hergestellt. Lediglich im Bereich der Halbinsel sollte durch die Herausnahme von Bäumen eine sonnige Liegewiese entstehen. Eine intensive Gewässernutzung ist am Neuen Teich nicht vorgesehen.

Dagegen sieht der Entwurf für den Schwanenteich eine stärkere Nutzung vor. Eine großzügige Seeterrasse an der Ringallee, die die Verbindung zum Campus der Fachhochschule darstellt, bietet Platz für vielfältige Freizeitnutzungen wie Gastronomie, Ruderbootverleih und die Rollschuhbahn.

Besonders lobend hob das 15-köpfige Preisgericht hervor, dass bei diesem Entwurf eine hohe Übereinstimmung zwischen Dauer- und Ausstellungsnutzung vorliegt, womit der Anteil der Rückbaukosten reduziert wird. Zusätzlich gab das Preisgericht auch Empfehlungen zur weiteren Planung, vor allem zur Berücksichtigung des Naturschutzes am Neuen Teich und im Auwäldchen östlich des Waldbrunnenwegs. "Diese Anregungen werden wir gerne aufgreifen", so Bürgermeisterin Weigel-Greilich, "denn sie entsprechen auch unseren Intentionen einer naturverträglichen Landesgartenschau."

Sämtliche Wettbewerbsbeiträge werden noch bis Freitag, 12. Februar, in der Kunsthalle des Neuen Rathauses (10 bis 20 Uhr) ausgestellt.

pe/kro

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