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Express Online: Thema der Woche
Express Online: Thema der Woche | 21. Oktober 2010

Die Winzer vom Marburger Schlossberg

Vom "Landgraf-Philipp-Tropfen" gibt es nur 120 Flaschen pro Jahr

Kaufen kann man den edlen Tropfen nirgendwo. Es gibt nämlich höchstens 120 Flaschen pro Jahr. Der Wein vom Marburger Schlossberg ist eine Rarität. Um eine der wertvollen "Landgraf-Philipp-Tropfen" zu ergattern, muss man schon hoher Gast der Universität oder fleißiger Erntehelfer sein.

Nur 150 Rebstöcke ziehen sich an der Südostseite des Landgrafenschlosses entlang. Mit Blick über die gesamte Altstadt lesen sechs Männer den neuen Riesling: "Das macht einen Riesenspaß" sagt Walter Rösner. Die Sonne steht tief über den Hängen. Die meisten Helfer können erst nach der Arbeit am frühen Abend kommen. Gelesen wird natürlich mit der Hand. "Wir hatten eigentlich kein schlechtes Jahr", sagt Horst Olbrich, Chef der Marburger Schlossbergwinzer. Dagegen verzeichnet der Rheingau herbe Einbußen. Olbrich erklärt sich den Erfolg mit dem Wind rund um die alte Landgrafenburg. Die Trauben trocknen nach jedem Regen schnell ab.

Eigentlich gehört der Schlossberg der Marburger Philipps-Universität. Schließlich baute schon Uni-Gründer Landgraf Philipp vor 500 Jahren Traminer und Grauedel an den steilen Hängen oberhalb der Altstadt an. Die Qualität des Weines kann aber nicht berauschend gewesen sein. Jedenfalls beschwerte sich ein spanischer Edelmann und Gast des Landgrafen, dass in Marburg "der reine Essig" wachse. Daraufhin wurde der Wein dem Gesinde vermacht. So richtig gut wurde der Tropfen wohl auch in den kommenden Jahrhunderten nicht – um 1950 wurden die letzten Stöcke gerodet.

Erst 1997 wurde der Wein erneut zum Thema. Olbrich war damals als Chef der Wirtschaftsabteilung der Universität auch für die Liegenschaften der Hochschule zuständig. Und in der "Schlosskommission" wurde darüber nachgedacht, wie das Gelände der Marburger Burg verschönert werden könne. Die Idee mit den Rebstöcken stammt von Weinliebhaber Bernd Höhmann, damals Kanzler der Uni. Olbrich griff sie gemeinsam mit einem Verwaltungsmitarbeiter und einem Archäologen auf: "Ich habe mir damals nicht vorstellen können, dass es so viel Arbeit macht", räumt er ein. Sie pflanzten zunächst 80 Stöcke.

Das größte Problem: Schon bald wechselte der Archäologe – "der einzige, der sich auskannte" – an eine andere Universität. Die verbliebenen Weinbauern probierten munter aus: Silvaner, Gutedel und Traminer wurden gepflanzt. "Wir wussten damals nicht, dass das Kleinklima am Schloss einer guten Lage im Rheingau ähnelt", sagt Olbrich. Und es ging ihnen wie einst dem Landgrafen: Der Wein glich eher einem "Gebräu": "Das war nicht so gut zu trinken", sagt der 69-Jährige.

Olbrich besuchte einen Schnittkurs in Eltville, knüpfte Kontakte zu den Weinbauern der Fachhochschule in Geisenheim und warb um Interessenten in der Stadt. Heute kümmern sich zehn "Schlossbergwinzer" um die Rebstöcke – unter ihnen Lehrer, Zahntechniker, Jäger und Sozialarbeiter. Sie stellten weitgehend auf biologische Schädlingsbekämpfung um. An den Reihen stehen Rosen. Werden sie von Mehltau befallen, sind auch die Rebstöcke gefährdet. "Aber dann können wir noch reagieren", erklären die Hobby-Winzer.

Inzwischen schmeckt auch der Wein richtig gut. Der Durchbruch kam mit dem Kauf eines Refraktometers, erzählen sie. Seitdem können die Weinbauern den Zuckergehalt der Trauben bestimmen. Eine Traube, die süß schmeckt, muss nämlich noch nicht reif sein für die Ernte. In diesem Jahr haben sie vor allem Burgunder und Riesling geerntet. Aus den Vorjahren lagern sie noch Rosé undWeißweine – inzwischen sehr begehrte Tropfen.

Die Erntehelfer kommen schon kurz nach Sonnenuntergang von der Lese zurück. Eine Plastikwanne voller Rieslingtrauben schleppen sie zu "Kellermeister" Walter Rösner. Der Schwabe, der eigentlich Sozialberater ist, kümmert sich gern ums Maischen, Pressen und Abfüllen. Dafür nutzen die Schlosswinzer den Gewölbekeller, in dem schon Landgraf Philipp seinen Wein kelterte. Die kühlen Gewölbe hinter den weinroten Eichentüren haben die Freunde selbst renoviert. Mit alten Leuchtern und schweren Holztischen verbreiten sie die Stimmung früherer Rittergelage. Die 500 Jahre alte Weinpresse dient allerdings nur noch der Dekoration.

An Südfrankreich erinnert das "Winzerhäuschen", ein ebenfalls renoviertes Gärtnerhaus aus dem 15. Jahrhundert. Dort werden sie irgendwann im nächsten Jahr feiern – wenn die ersten Flaschen abgefüllt werden.

Gesa Coordes

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