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Express Online: Thema der Woche
Express Online: Thema der Woche | 15. April 2010

Tod im Flugzeugwrack

Initiative klärt Fliegerschicksale aus dem zweiten Weltkrieg / Museum in Ebsdorf

Eine völlig demolierte Trillerpfeife, ein kaum wieder zu erkennendes Taschenmesser, eine Zielvorrichtung zum Bombenabwerfen, Fallschirmfetzen und ein Talisman, der einen kleinen roten Widder zeigt. Mit den Überresten aus dem Flugzeugwrack setzt das Museum Geschichte zusammen: Am Nikolaustag 1944 legten mehr als 200 britische Bomber den Stadtkern von Gießen fast vollständig in Schutt und Asche. Das Flugzeug vom Typ Lancaster hatte seine tödliche Fracht bereits abgeworfen, als es von deutschen Nachtjägern getroffen wurde. Über dem schneebedeckten Schiffenberger Wald stürzte das Flugzeug ab. Von der siebenköpfigen Besatzung - sechs Australier und ein Engländer - wurden drei geborgen.

Sechzig Jahre später wurde das Wrack der wohl größte "Fall" der mittelhessischen Initiative Fliegerschicksale, die das Gelände in monatelanger Arbeit systematisch durchkämmte. Sie entdeckten sogar die "Nikolausration" der Piloten: Walnuss- und Haselnussschalen unter den Instrumenten des Cockpits. Heute sind ihre Funde im vor wenigen Monaten eröffneten bundesweit ersten Flugzeugwrackmuseum in Ebsdorf (Kreis Marburg-Biedenkopf) zu sehen, das ersten Sonntag im Monat seine Pforten öffnet. Präsentiert wird das Ergebnis ihrer jahrelangen Arbeit.

Motorblöcke, Propeller, Sauerstofftanks, Munitionskästen, zerbeulte Zylinderköpfe und die Motorhaube einer Messerschmitt 109, die jahrelang als Hühnerstall diente, sind hier ausgestellt. Die privaten Initiatoren sind alle technikbegeistert. Es geht ihnen jedoch vor allem um die menschlichen Schicksale, die hinter den Funden stehen: Ein Taschentuch mit eingesticktem Namen, Hosenträger und Spindschlüssel erinnern an Unteroffizier Hans Lämmel, der im März 1944 bei Grünberg abstürzte. Von der Wand lächeln Victor Rundle Oats, seine Frau Elisabeth und ein Baby. Der britische Pilot war auf dem Rückweg von Berlin, als er bei Bottendorf unweit von Frankenberg abgeschossen wurde. Seinen Sohn lernte er nie kennen. "Der Krieg reißt Leben auseinander", sagt der Vorsitzende der Gruppe, Mirko Mank: "Er ist nie heroisch."

Die Initiative Fliegerschicksale fahndet seit vielen Jahren nach abgestürzten Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie wollen vor allem Vermisstenfälleklären: "Sie sollen ihr Gesicht wieder bekommen", sagt Vorstandsmitglied Frank Häuser. Seit 1995 haben sie die Überreste von zwölf Flugzeugen und acht Piloten geborgen. Immer dabei sind Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes, der Kriegsgräberfürsorge und manchmal sogar Forensiker.

Im Schiffenberger Wald entdeckten sie 320 Knochenfragmente, die Überreste der vier Australier. Identifizieren konnten sie die Piloten mit Hilfe der völlig verdreckten Erkennungsmarke von Joslyn Henderson, damals gerade 20 Jahre alt. 2005 wurden sie auf dem britischen Militärfriedhof in Hannover beerdigt. Zehn Verwandte der Piloten flogen um die halbe Welt, um ihnen die letzte Ehre zu geben. "Das war sehr ergreifend", sagt Vorstandsmitglied Andreas Dort. "Damit können auch die Verwandten besser abschließen", erklärt Mank.

Dahinter steht eine mühselige Puzzlearbeit. Um die mutmaßlichen Absturzstellen zu finden, stöbern sie in Gemeinde- und Militärarchiven, lesen Abschuss- und Polizeiberichte und befragen Augenzeugen. So brauchten sie ein Jahr, um Oberfeldwebel Werner Radant aufzuspüren, der wegen eines technischen Defekts am 24. April 1944 mit einem deutschen Jagdflugzeug auf einer Wiese bei Staufenberg-Treis abstürzte. Der Motorblock mit Zylinder und Propellergetriebe steht heute im Museum. Daneben hängt ein vergilbtes Foto des Piloten mit Fliegerbrille und Kappe. Knochen und Stiefel des damals 28-Jährigen fanden die Experten erst in vier Metern Tiefe. Vier Wochen später wollte der junge Mann heiraten. Das Brautkleid war schon gekauft.

Es stehen noch viele Bergungen aus, sagt Mank. Allein in den Landkreisen Gießen und Marburg stürzten während des Zweiten Weltkrieges 260 Flugzeuge ab. Bundesweit werden noch 1600 deutsche Piloten vermisst.

Das Flugzeugwrackmuseum in Ebsdorf (Hauptstraße 31c) ist von April bis September jeden ersten Sonntag im Monat von 13 bis 18 Uhr sowie auf Anfrage geöffnet. Der Eintritt beträgt zwei Euro. Es wird privat finanziert. Weitere Informationen: Tel. 0173-3406804, E-Mail: Flugzeugwrackmuseum[at]web.de

Gesa Coordes

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